Warum das Ziel und nicht der Weg das Ziel ist:
Exit Ahead
Wenn es um das Thema Exit geht, scheiden sich die Geister. Die einen träumen von plötzlichem Geldsegen und lebenslanger Freiheit – die anderen hängen an ihrem Start-up und der Marke, die sie über Jahre mit viel Mühe und Zeit aufgebaut haben und wollen für einen Exit keine Kompromisse machen.
Aus meiner Sicht ist ein Start-up erst dann erfolgreich, wenn es einen guten Exit schafft. Das klingt vielleicht ketzerisch, aber es kann doch nicht das Ziel eines Unternehmers sein, über zu viele Jahre von Investorengeldern, basierend auf einem fiktiven Preis, abhängig zu sein. Für eine Zeit des Wachstums ist das natürlich Teil des Erfolgs, aber das allein ist kein Erfolg.
Das ist erst der Fall, wenn ein Unternehmen so platziert wird, dass die Arbeitsplätze erhalten werden und eine langfristige und nachhaltige Eigenwirtschaftlichkeit besteht – so wie es früher im deutschen Mittelstand üblich war, nur mit einem rasanteren Weg dahin.
Als es darum ging, Captain Train durch den Merger mit Trainline zu führen und das Unternehmen danach an die Börse zu bringen, ist es uns gelungen, sämtlichen Kollegen, die sich im Scale-up-Prozess als echte Superstars erwiesen haben, einen sicheren Hafen zu bieten. Alle haben Aktien bekommen und beim Börsengang gutes Geld verdient. Unter diesen Bedingungen ist der Exit für alle Seiten ein Gewinn.
Die Vision trägt über die Ziellinie
Aber machen wir uns nichts vor: So ein Exit ist kein Spaziergang. Ich vergleiche den Scale-up-Prozess gerne mit einem 100-Meter-Sprint, den wir in hohem Tempo über eine sehr lange Strecke durchhalten müssen – jeden Tag, über mehrere Jahre. Ohne auszubrennen oder das Team zu verheizen, schafft man das nur mit guten „Überlebenstechniken“. Und dazu gehört es unbedingt, sich vorab über die Beweggründe für den Exit klar zu werden. Stellen wir uns einmal vor, wir haben schon eine sehr lange Strecke in sehr schnellem Tempo zurückgelegt und biegen zum letzten Mal rechts ab, um dort die Ziellinie vor uns zu sehen. Die letzten zwei Kilometer hängen nun nicht von der körperlichen Fitness ab, sondern vor allem von der mentalen Belastbarkeit. Was uns mit letzter Kraft über die Zielgerade trägt, ist die Vorstellung davon, wie es sich anfühlen muss, auf der anderen Seite angekommen zu sein.
Wenn es nur um das Geld geht, können wir im Prinzip jedes gute Angebot annehmen, was auf dem Tisch liegt. Aber aus meiner Erfahrung motiviert das nur die Wenigsten. Bei all der Zeit, der Mühe und der tiefen Identifikation, die wir für das Projekt aufgewendet haben, ist auf jeden Fall mehr für uns drin als nur Geld. Es gilt also zu überlegen: Aus welchen Gründen soll an diesem Punkt der Exit erfolgen – und wie genau wird es danach weitergehen? Wie stiften wir einen Mehrwert für Gesellschaft und Volkswirtschaft?
Vier mögliche Gründe:
Reich werden: Wenn es darum geht, müssen wir uns nur fragen, welchen Preis wir für fair halten – möglichst genug, um unseren langjährigen Mitstreitern die Freiheit zu verschaffen, sich aussuchen zu können, was sie als nächstes tun. Dass sie Angebote genug haben werden, steht fest: Ein Posting bei LinkedIn, dass sie wieder nach neuen Herausforderungen suchen – und die Inbox wird explodieren.
Die Freiheit zu tun, was wir lieben: Für mich der Antrieb Nummer eins: unabhängig und frei zu sein für den Rest meines Lebens. Natürlich ist ein Exit nie das Ende der Story. Aber es bringt einem größere Freiräume und ist sicherlich eine große Motivation für den herausfordernden Endspurt.
Zufrieden sein: Ein Exit vermittelt das Gefühl, wirklich einen Punkt hinter das Projekt gemacht zu haben. Ich verwende gerne das Bild von dem selbstgebauten Haus, dem noch ein Dach hinzugefügt werden muss, um es komplett zu machen. Nicht zu vergessen der gesellschaftliche Impact: durch den Nutzen, den das Projekt stiftet, und weil wir den Mitarbeitern und Kunden etwas Gutes getan haben.
Das Gefühl, das „Baby“ in gute Hände zu geben: Wer sich einem Unternehmen mit Leib und Seele verschrieben und so vielen talentierten Menschen ein berufliches Zuhause gegeben hat, möchte dem Schiff auch einen dauerhaften und sicheren Hafen geben. In Falle von Trainline ist es auch deshalb gelungen, alle Mitarbeiter mitzunehmen, weil die Unternehmen kulturell zusammenpassten und der neue Besitzer etwas hinzufügen konnte, was gemeinsam noch erfolgreicher macht.
In einem Stück bis zum Exit
Die immense Herausforderung, die ein Exit für die Entscheider mit sich bringt, sollte wirklich nicht unterschätzt werden. Ich war beileibe vorher schon ein verrücktes Arbeitspensum gewohnt, mit frühen Starts um vier Uhr morgens, um in mehrere Länder pro Woche zu reisen, und das über zehn Jahre lang. Aber all das war nichts im Vergleich zu dem, was ich während der Exit-Vorbereitung erlebt habe. Bei der Arbeit so tun zu müssen, als wäre nichts Besonderes los, dazu der enorme Druck, verbunden mit Schlafmangel über Wochen und Monate, sprengt die Grenzen dessen, was man vorher glaubte, stemmen zu können. Und das alles mit dem Risiko, dass sich der Exit am Ende doch zerschlägt, und der damit verbundene Frust. Auch ich war an mehreren Deals beteiligt, aus denen nichts wurde, und das ist nicht leicht zu verkraften.
Fest steht: Je besser man vorbereitet ist, desto höher sind die Erfolgschancen. Das betrifft auch die persönlichen Ressourcen, die nun mal begrenzt sind und um die wir uns noch aufmerksamer kümmern müssen, wenn wir in die Scale-up-Phase eintreten. Dabei geht es vor allem darum, die eigenen Batterien immer wieder aufzuladen, mit allem was einem guttut: genügend Schlaf (und das sind mehr als vier Stunden …), gutes Essen (mindestens eine warme Mahlzeit am Tag), ausreichend Bewegung – und ganz wichtig: regelmäßige Pausen. Letztlich geht es nicht darum, möglichst viel zu arbeiten, sondern darum, mit der eigenen Energie zu haushalten und diese möglichst effizient einzusetzen.
Wer es schafft, sich auf die Prioritäten zu konzentrieren und zwischen den beanspruchenden Phasen immer wieder zu erholen, der wird es auch in einem Stück bis zum Exit schaffen. Ich habe diesen Schritt nie bereut!