Über Zähne, Erlebnisse und Entscheidungen
CX - Über Zähne, Kunden und eine Sau in neuem Gewand
Customer Experience Management
Vor Kurzem saß ich im Wartezimmer meines Zahnarztes und nutzte die Wartezeit für ein wenig fachliche Lektüre – zum Thema Customer Experience Management.
Unwillkürlich wuchs in mir nach einigen Passagen die zynische Vermutung, dass hier mal wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird.
Schließlich sind die meisten der wirtschaftlichen und psychologischen Annahmen und Erkenntnisse dem vergangenen Jahrtausend zuzuordnen. Ich fragte mich, was den Wissenstand eines modernen, customerzentrierten Unternehmers von dem eines traditionelleren Unternehmenslenkers unterscheidet.
Hier wurde ich unterbrochen und in den Behandlungsraum gerufen.
Er startete mit den Basics: „Wieso gehen Sie nicht – entsprechend der gängigen Empfehlung – einmal im Jahr zum Zahnarzt?“, so fragte er. Häufig seien die Zahnarztbesuche in seiner Jahresplanung einfach nicht vorgesehen. Es passiere aber auch, dass dringlichere Themen und Freizeitbeschäftigungen dazwischenkämen, gab der Patient zurück. „Ich sehe auch, dass Sie sich in der Vergangenheit stets gegen eine professionelle Zahnreinigung entschieden haben, können Sie mir erklären, warum Sie so entschieden haben?“ Professionelle Zahnreinigungen seien ja schon sehr teuer, antwortete der Patient. In seine Familie lasse er aber intern von Zeit zu Zeit gegenseitig die Zähne putzen. Das sei ja im Wesentlichen das Gleiche.
Hier wurde der Zahnarzt langsam etwas ärgerlich und fragte den Patienten, ob ihm denn nicht klar sei, dass die gesamte Nahrungsaufnahme kaum ohne Zähne zu machen sei und dass es um ein Vielfaches teurer ist, neue Zähne zu implementieren, als die Bestandszähne zu pflegen. Doch, doch, das sei dem Kunden natürlich klar. In der Praxis sei es aber schwer, die ganzen Maßnahmen zur Oralhygiene im kontinuierlichen Tagesstress zu berücksichtigen.
Mein spontaner Gedanke war, dass diesem Patienten am besten das Konzept der Teeth-Centricity im Kontext eines ganzheitlichen Tooth Experience Management vorzuschlagen wäre.
Ja, warum nicht? Vielleicht braucht die Sau von Zeit zu Zeit einen neuen Namen und ein neues Gewand – genau wie beim Thema Customer Experience Management.
Jedem Unternehmen ist bewusst, dass es nur Bestand haben, geschweige denn florieren kann, wenn Kunden die Produkte und Leistungen des Unternehmens kaufen und zufrieden sind. Es sollte doch klar sein, dass der Kundenzufriedenheit ultimative Priorität eingeräumt werden sollte.
Aber die Kunden kaufen ja (noch) und es gibt so viel spannende sexy Themen, mit denen sich Unternehmen beschäftigen können, insbesondere innengerichtete. Und die Entscheider sind eben auch nur Menschen. Da funktionieren perspektivische Verstärker genauso wenig wie bei Affen oder Hunden. Pawlow hätte seine liebe Mühe, Hunde zum Speichelfluss zu bewegen, wenn er ihnen eine große Portion ihrer Lieblingsspeise in drei Tagen versprechen würde. Ein lieber Kunde von mir hat es so herrlich formuliert: „Kundenerlebnismanagement ist ein Marathon und kein Sprint“. Dafür braucht man erst einmal die Puste.
Aber da wird das Customer Experience Management wieder spannend. Es geht über die gelegentliche Auseinandersetzung mit dem Kunden hinaus und möchte uns dazu bewegen, uns kontinuierlich und konsequent mit dem Erleben des Kunden auseinanderzusetzen. Durch die Fokussierung des Erlebens der Kunden wird hier auf der einen Seite die Konzentration auf das eigentliche Produkt oder die eigentliche Leistung aufgebrochen und um das Erleben der gesamten Interaktion an den unterschiedlichen Kontaktpunkten mit dem Unternehmen erweitert. Auf der anderen Seite wird ganz klar die subjektive Bewertung des Kunden – das subjektive Erleben mit den Sinnen des Kunden und der subjektive Abgleich der Kundenerwartungen mit dem Erlebten – in den Vordergrund gestellt.
Auch Kunden sind nur Menschen. Weder in B2B- noch in B2C-Beziehungen sind Menschen in der Lage, vollkommen rationale Entscheidungen zu treffen. Wir wissen, dass Menschen situationsbedingt, motivations- und wertegetrieben entscheiden.
Unternehmen können wahnsinnig erfolgreich sein, wenn sie die subjektiven Kauftreiber verstehen und ihren Kunden zum Beispiel einen unterbrechungsfreien und logistisch wahnsinnig schnellen Kaufprozess bieten (Komplexitätsreduktion - Amazon). Oder sie verkaufen ein Produkt, auf dass sich Kunden jahrelang verlassen können (Sicherheit - Miele) oder sie verknüpfen die ästhetischen Bedürfnisse des Kunden mit technischen Anforderungen (Genuss/Anerkennung - Apple).
Das Kundenerlebnismanagement bewegt sich weg von Ideen wie Zielgruppen oder Branchenclustern und ersetzt diese durch Überlegungen des H2H-Businesses (Human-to-Human-Business). Unterm Strich machen Menschen Geschäfte mit Menschen. Ob es die freundliche Bedienung ist, die Ihrer Kundin „über die Theke“ ein Kuchenstück verkauft, das sich diese gerade wünschte, um sich für einen erfolgreichen Geschäftsabschluss zu belohnen. Oder ob es eben diese Kundin ist, die zuvor einen Klienten durch ihren innovativen und mutigen Ansatz von einer Investition überzeugen konnte.
Hier bringt das Kundenerlebnismanagement das Personalkonzept im Schlepptau mit, welches die Fragen stellt: Wer ist denn unser Kunde? Was ist ihm wichtig? Was treibt
ihn an? Was wünscht sich Kunde? Und wieso? Können wir diese Fragen für unsere Produkte – und vielleicht auch für jedes Produkt oder jede unserer Leistungen anders – beantworten? Können wir
unsere(n) archetypischen Kunden (eine Persona – lat. Maske, Person, Rolle) beschreiben, ihm oder ihr einen Namen geben (vielleicht Kevin oder Chantal), sie oder ihn fest in unserem Hinterkopf
abspeichern und uns bei jeder unternehmerischen Entscheidung fragen, was Kevin oder Chantal dazu sagen würden?
Den Aspekt des Einbezugs „jeder unternehmerischen Entscheidung“ habe ich bereits zuvor angesprochen, als ich sagte, dass durch das Kundenerlebnismanagement „das Kundenerlebnis an den unterschiedlichen Kontaktpunkten mit dem Unternehmen“ in den Fokus gestellt wird. Hier bietet der Customer Journey Ansatz Hilfestellung, der mögliche Kontaktrouten – angefangen von der ersten Wahrnehmungsinteraktion (etwa Werbung) bis hin zu Nachkaufprozessen (etwa Beschwerdemanagement) – im sogenannten Customer Journey Mapping aufzeichnet.
Das strukturierte und kontinuierliche Einholen von Feedback an den verschiedenen Stationen der Journey bietet so die Möglichkeit, Kundenerfahrungen auf der Customer Journey Map zu verorten und die Kundenkontakte hinsichtlich Qualität und konsistenter Erlebnisproduktion zu analysieren.
Öfter mal Kundenfeedback einholen und sinnvoll verarbeiten - dass macht alles sehr viel Sinn.
Ich fürchte dennoch, Kundenerlebnismanagement bleibt eine alte Sau in neuem Gewand. Aber wenn die Aspekte der Ganzheitlichkeit und der Subjektivität zusammen mit dem Versprechen eines nachhaltigen Erfolgs uns davon überzeugen können, eine aktive Customer Centricity zu etablieren, ist das in Ordnung.
Und wenn unsere Kunden uns vertrauen können, dass wir ihre Zufriedenheit ins Zentrum unserer Überlegungen stellen, sehen wir vielleicht wieder häufiger ein Lächeln wie auf dem obigen Bild auf den Gesichtern unserer Kunden.
Wir müssen nur unseren Kunden vertrauen, dass sie ihre Oralhygiene höher priorisieren als der beschriebe Patient meines Zahnarztes – aber das wird schon!
Andreas Abbing
www.linkedin.com/company/consulimus-ag