Reicht das BIO von heute für das BIO von morgen?
Aktuelles auch für Startups zu den Themen
Nachhaltigkeit, Bio und eine gute Zukunft
Reicht das BIO von heute für das BIO von morgen?
Das war schon eine hoch interessante Runde, die da am Donnerstag darüber diskutierte, wie denn die Zukunft der Bio-Landwirtschaft aussehen könnte oder sollte. Die GLS Bank Bochum hatte diese Diskussionsrunde organisiert. Für die GLS Bank sollte es das Ziel sein, 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 zu erreichen. Ob dies realistisch ist und was die Herausforderungen des Biolandbaus sind, war zentraler Teil der Diskussion.
Es sollte ein interessanter Abend für Profis und alle anderen Bioliebhaberinnen und -liebhaber werden, und diese Erwartung wurde erfüllt. Wir bringen hier eine
kurze Zusammenfassung der offenen und konstruktiven Diskussion und erläutern auch ein paar Begriffe (siehe unten).
Unter der Moderation von Dr. Antje Tönnis (GLS Bank) diskutierten:
► Barbara Scheitz (Andechser Molkerei Scheitz)
► Stefan Hipp (Hipp)
► Thomas Jorberg (GLS Bank)
Ein wenig Statistik zu Beginn: Im Verlauf der Diskussion wurde einige Zahlen bekannt, die die Bio-Landwirtschaft kennzeichnen und die hier vorweg aufgelistet werden:
► 10 % der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland sind Bio-Betriebe
► 7 % der deutschen Landwirte stellen jährlich auf Ökobetrieb um
► 6 % der Milch aus Deutschland ist Bio-Milch
► Der Marktanteil der Bio-Lebensmittel in Deutschland liegt bei knapp 11 %
Aus Recherchen im Internet lässt sich dazu noch dieses ermitteln:
► Der Prozentanteil der gelegentlich Bio-/Öko-kaufenden Privathaushalte in Deutschland
liegt immerhin bei über 96 Prozent.
► Der Pro-Kopf-Umsatz von Lebensmitteln liegt in Deutschland bei rund 1.300 EUR,
für BIO-Lebensmittel bei rund 140 EUR
► In 2020 gab es in Deutschland offiziell gut 34.000 ökologisch wirtschaftende Betriebe
mit einer Gesamtfläche von 1,6 Mio. Hektar Fläche. Dies entspricht rund 12,9 Prozent
der Betriebe bzw. rund 10 % der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche
(16,6 Mio. ha; Ackerbau, Weidewirtschaft und Weinbau eingeschlossen).
Der „Bund ökologische
Lebensmittelwirtschaft“ (BÖLW; Dachverband der Deutschen Bio-Bauern) ermittelte, dass der Bio-Markt im Corona-Jahr 2020 von gut 12,2 % auf insgesamt 14,99 Mrd. € anwuchs. Damit
investierten die Deutschen 22 % mehr Geld in Bio-Lebensmittel und -Getränke als 2019. Öko legte ungefähr doppelt so stark zu wie der Lebensmittelmarkt insgesamt, da die Menschen zu Pandemiezeiten
mehr zu Hause gekocht und gegessen haben und auf gesunde, umwelt- und tierfreundlich erzeugte Lebensmittel setzten.
Diese Grafiken verdeutlichen die landwirtschaftliche Flächennutzung in Deutschland:
Zu den Diskussionsteilnehmern, ihren Aussagen und Statements:
Barbara Scheitz ist Geschäftsführerin der Andechser Molkerei Scheitz. Diese arbeitet seit 2009 mit BIO-Produkten. Man pflegt einen engen Kontakt zu Öko-Landwirten und fördert die Bio-Diversität. Die Molkerei hat das Programm „Der Klimabauer“ aufgelegt, das nun fünf Jahre läuft. Hier bewerben sich viele interessierte Landwirte, denn das Dabeisein bringt ihnen überdies so einige Vorteile. So wird das Programm wissenschaftliche begleitet, die Landwirte erhalten Unterstützung und Beratung beim Wechsel zum Öko-Anbau, und sie erfahren eine Wertschätzung ihrer Produkte. Babara Scheitz sprach vom Wettbewerb um die „Wiesenmeister“, der auch vom BUND Naturschutz in Bayern (BN) und der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) unterstützt wird. Der Begriff steht für Landwirte, die auf ihren Grünflächen Lebensraum für eine hohe Artenvielfalt schaffen.
Aus Sicht der Geschäftsführerin ist der ökologische Milchproduktion mit konkreten und ganz praktischen Vorteilen verbunden:
► Freilaufende Kühe lockern den Boden
► Der Grasabbiss durch die Kühe fördert das Wachstum des Grases
► Die Kühe düngen den Boden auf natürliche Weise
Anmerkung der Redaktion:
Wir vom RheinZeiger haben auch dies schon früher diskutiert und Barbara Scheitz sprach es dann auch aus: Wir müssen Lebensmittel wertschätzen, und wie müssen die qualifizierte Dienstleistung der Landwirtschaft als umweltgerechte Versorgung mit Nahrung anerkennen.
Stefan Hipp ist Chef des Babynahrung-Herstellers Hipp. Dieses Unternehmen setzt für die Produktion von Babynahrung bereits seit 30 Jahren auf Bioprodukte. Das von Hipp schon Anfang der 90er Jahre eingeführte eigene Biosiegel entstand, als es auf EU-Ebene oder in Deutschland noch kein Biosiegel gab. Auch Hipp unterstützt ökologisch arbeitende Landwirte. Die Firma Hipp ist nach eigenen Angaben bereits „klimapositiv“.
Hipp betreibt nach eigenen Angaben eigene Kompostwerke und einen landwirtschaftlichen Betrieb in Polen. Sie streben an, bezogen auf die Hipp-Produkte, von der Erzeugung der Rohstoffe bis zur Nutzung durch Verbraucher mehr CO2 einzusparen als zu produzieren.
Thomas Jorberg ist Sprecher des Vorstandes der GLS Gemeinschaftsbank in Bochum. Jorberg zitierte zu Beginn seiner Vorstellung Felix Prinz zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg mit dem Satz: „Wir werden uns in Zukunft ökologisch ernähren oder gar nicht mehr“. Felix zu Löwenstein, der überzeugte Öko-Landwirt, plädiert für ein nachhaltigeres und gerechteres Landwirtschaftssystem und erhielt bereits 2016 für sein Engagement im Ökolandbau das Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland.
Die GLS Bank engagiert sich für Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Jorberg bezeichnete die Landwirte eher als Opfer des Systems und plädierte für eine bessere und
überhaupt faire Bezahlung der Landwirte und ihrer Produkte. Er stellte auch fest, dass die Qualität der Bio-Produkte für die Konsumenten das entscheidende Kriterium darstellen
muss.
Ergebnisse der Diskussion
Nach Ansicht der Diskutanten gilt es, diese Ziele anzustreben:
► 30 % Bio-Produkte bis 2030 –
ein ehrgeiziges Ziel
► Faire Bezahlung der
Produkte der Öko-Erzeuger
► Ausbau der resilienten
Landwirtschaft
► Ausbau der Vernetzung
der Erzeuger
Bei der Diskussion über den Weg hin zur ganzheitlichen ökologischen Landwirtschaft zeigte sich aber auch, dass dies kein leichter Weg ist. Fraglich ist beispielsweise, ob denn die Belegung der Landwirte mit „Strafabgaben“ auf die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln geeignet ist, um die Kurskorrektur im Markt zu bewirken. Bezieht man die Folgekosten mit ein, die durch die Nutzung von Pflanzenschutzmitteln in der Umwelt entstehen, müssten die „konventionellen“ landwirtschaftlichen Produkte teurer sein als die ökologisch erzeugten.
Anmerkung: Thomas Jorberg hat sicher Recht, wenn er die Landwirte eher als Opfer denn als Täter sieht. Der Rücklauf der Abgaben könnte möglicherweise zwar zur Kurskorrektur beitragen, aber ob diese auf dem Rücken der Landwirte ausgetragene Strategie der richtige Weg ist, darf sicher diskutiert werden.
In der Diskussion wurde auch deutlich, dass jährlich viele Landwirte aufgeben, weil die Rechnung nicht mehr aufgeht, die Existenz bedroht ist. Wenn Arbeitszeit und Gewinn in keiner Relation mehr stehen, macht Landwirtschaft keinen Spaß mehr. Landwirtschaft ist aber nach wie vor als primärer Wirtschaftssektor zu betrachten, die Landwirte stellen durch ihre Tätigkeit immerhin die Ernährung sicher. Ein engagiertes Wirken der nachhaltigen Landwirtschaft muss deshalb vorrangiges Ziel sein.
Nach Ansicht der GLS Bank ist noch sehr viel „Bewusstseinsarbeit“ erforderlich. Auch dies haben wir schon gelegentlich diskutiert. Es braucht viel Kommunikation. Dr. Christian Patermann sprach einmal von der Bio-Diplomatie. Keine Frage: Die Politik muss dafür sorgen, dass die ökologische Landwirtschaft der Weg der Wahl ist, dass sich deren Arbeit rechnet. Dies erfordert auch ein neues Denken der Gesellschaft, und das wird Zeit und die zitierte „Bio-Diplomatie“ erfordern (vgl. hierzu den Artikel "Bioökonomie in der neuen Dekade".
Begriffe und was dahinter steckt ...:
CO2-Bindung im Humus
Kohlenstoff ist die Grundlage allen Lebens – und in Form von CO2 ein großes Problem für unser Klima. Dabei ist nur ein geringer Teil in der Luft. Große Kohlenstoffspeicher bilden dagegen Wälder, Böden und Meere. Sie finden sich überall wo Leben ist oder war.
Die Wissenschaft bezeichnet den Boden als den wichtigsten Kohlenstoffspeicher unserer Erde. Pflanzen entnehmen der Atmosphäre CO2, um daraus kohlenstoffhaltige Verbindungen (Nährstoffe wie Fette, Eiweiß, Kohlenhydrate) aufzubauen. Beim Absterben der Pflanzen findet sich der gebundene Kohlenstoff in den zersetzten Pflanzenresten, dem Humus.
Sind hohe Anteile Humus im Boden enthalten, ist dies erwiesenermaßen förderlich für das Pflanzenwachstum. Leider habe sich jedoch die Humusgehalte der Böden in den
letzten Jahrzehnten um bis zu 70 % reduziert. Dies wird in erster Linie auf Bodenbearbeitung, Monokulturen, Hohe Stickstoffgaben und Düngung zurückgeführt. Eine regenerative Landwirtschaft
hingegen wäre förderlich für den Humusaufbau.
Resilienz in der Landwirtschaft
Resilienz - ein "modernes" Wort, das in der heutigen Zeit bei vielen Themen gerne benutzt wird. Eine „offizielle“ gültige Definition für Resilienz in der Landwirtschaft gibt es bisher nicht. Für die Landwirtschaft bedeutet Resilienz letztlich eine Rückkehr zur Artenvielfalt auf den landwirtschaftlichen Flächen. Es gibt keinen „Raubbau“ mehr und keine Monokulturen. Die Produktionsstrukturen der ursprünglichen Landwirtschaft bleiben erhalten, Kulturfolgen werden wiederhergestellt und mit Kreativität den Erfordernissen angepasst. Die Arbeitsweise wird auf ökologische Prinzipien umgestellt. Als Beispiel für eine solche biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise gilt Demeter. Resilienz dürfte dringend notwendig sein, um eine gute Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität wiederherzustellen. Damit erklärt sich auch das Zitat von Felix zu Löwenstein.
"Resilienz“: Der Begriff stammt aus dem Englischen (resilience) und kann mit Widerstandsfähigkeit (Elastizität oder Spannkraft) übersetzt werden. Resilienz meint die Eigenschaft, mit belastenden Situationen umgehen zu können. Nach der Resilienz-Akademie bilden sieben Säulen die Grundlage: Akzeptanz, Bindung, Lösungsorientierung, gesunder Optimismus, Selbstwahrnehmung, Selbstreflektion und Selbstwirksamkeit. Es stellt ein Gegenprogramm zu Stress dar und eine Kompetenz zur Bewältigung von stetig wachsenden Herausforderungen, die es zu stärken gilt.
Wer es genauer wissen möchte, findet hier Informationen.
Bio - Öko und dergleichen
Bio-Siegel
Für die Verbraucher muss die Qualität von Lebensmitteln sicher erkennbar sein. Leider entwickelt sich derzeit eine große Siegel-Vielfalt für Bioprodukte. Hinzu kommen Kennzeichnungen für Tierwohl, Fairtrade oder etwa für vegane Lebensmittel. Es ist zu begrüßen, wenn immer mehr Menschen auf BIO setzen. Die Siegel-Vielfalt erweckt aber unweigerlich den Eindruck, dass BIO nicht gleich BIO ist. Eine Unterscheidung ist nicht immer leicht erkennbar oder sogar verwirrend. dennoch haben viele der Siegel durchaus ihre Berechtigung.
Es gibt die „offiziellen“ Siegel auf nationaler oder EU-Ebene sowie eine Reihe von Biosiegeln, die von den Erzeugern ganz individuell geschaffen werden. Hinzu
kommen „Siegel“ für die Kennzeichnung von Lebensmitteln, die etwa den Grad des Tierwohls kennzeichnen sollen oder eine faire Preisgestaltung belegen („fairtrade“). Eine Übersicht findet sich
beispielsweise unter www.umweltstiftung.com (siehe unten).
Hier ist sicher zu diskutieren, ob die Kommunikation verbessert oder ob nicht eine Vereinheitlichung von Siegeln angestrebt werden sollte. Ist BIO nicht gleich BIO? Gibt es „ein wenig BIO“? Hier sollte Klarheit geschaffen werden, damit Konsumenten die Chance haben, ohne einen Siegel-Leitfaden einzukaufen.
Apropos Leitfaden Bio-Siegel:
Es gibt verschiedene Leitfäden mit Erläuterungen zu den verschiedenen Bio-Siegeln. Wir bieten hier gleich zwei Leitfäden zum direkten Download an. Es gibt weitere, wir erheben hier nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
Eine umfassende Übersicht über zahlreiche Bio-Siegel (siehe Bild) mit Erläuterungen findet sich unter www.umweltstiftung.com.