Artikel aus RheinZeiger - Ausgabe 36

 

Lernen in der Lernenden Organisation

Eine lernende Organisation kann definiert werden als anpassungs-fähige Selbstorganisation, die auf innere und/oder äußere Reize reagiert und daraufhin einen Weg zu Erwerb, Speicherung und Aus-tausch von informellem Wissen sucht. Dieses Lernen lässt sich also als eine Ausprägung von Change verstehen, bei der das Veränderungslernen der Lernen-den Organisation die wesentliche Triebfeder ist. In der heutigen Zeit bringt zudem die digitale Entwick-lung ganz neue Anforderungen und Möglichkeiten des Lernens mit sich. 

 

Wie stellt sich die Situation heute dar? Wir erleben so manches Vorhaben zur Weiterent-wicklung von Organisation allerdings mit limitierter Wirkung, unter anderem:


Change Programme: Change findet statt, wird eher „erlebt“ und soll aber auch gezielt vorangetrieben werden; aber mit was und wohin?
Performance-Programme: Steigerung der Effizienz des bestehenden Systems. Die Frage, ob der eingeschlagene Weg richtig ist, bleibt ausgeklammert.
Total Quality Programme: Verbesserungen im Detail und überall. Die „Krümelmonster“ schlagen zu.


Gemeinsam ist ihnen, dass sie primär auf die Lösung aktueller Probleme abzielen, oder singulär einen Aspekt betonen. So löst das eine das andere Programm ab; die grundsätzliche Fragestellung, was der Antrieb ist, mit dem sich die Organisation dauerhaft erfolgreich entwickeln kann, bleibt unbeantwortet oder vage. 


Nur das aktuelle Problem lösen zu wollen ist zu kurz gesprungen.

Was die Methoden der strategischen Positionierung in unserer sehr volatilen Welt zu bieten haben ist nicht so recht überzeugend. Es braucht ein Zukunftsbild, das aber fehlt, oder es kommt zu spekulativ daher. So entsteht eine Verunsicherung, die zudem durch die Digitali-sierung und die Pandemie befeuert wird.

 

Da sich also keine Patentantworten bieten, besinnt man sich auf eine generelle Fähigkeit, mit Ungewissheit umzugehen, nämlich das Lernen. Dies will verstanden sein als eine andauernde Herausforderung; als eine Kompetenz, die sich in jeder Situation als nützlich erweist, die be-fähigt, unvorhergesehene Entwicklungen schnell zu interpretieren und zu begreifen, die mit Wissen und Sachverstand hilft, die „richtige“ Richtung einzuschlagen. Dabei geht es weniger um das klassische Anhäufen von Wissen und kognitiven Fähigkeiten.

 

Gefragt ist experimentelles Lernen. So soll vermieden werden, dass die Entwicklung der Organisation weit hinter den Möglichkeiten herhinkt und dass die sich wandelnde Organisation den Menschen abhängt. 


Gefragt ist ein Lernen, das nicht nur individuell sondern kollektiv ist, das also nicht nur auf Personen, sondern auch auf die Strukturen bezogen ist. Es soll nicht nur auf die Lösung des aktuellen Fachproblems, sondern auf die Verbesserung der übergreifenden Wertschöpfung gerichtet sein. Es soll sich also nicht nur als Anwendung einer Methode, sondern als nachhal-tige Veränderung darstellen. Diesen umfassenden Ansatz bezeichnet Peter M. Senge in seinem Werk „The Fifth Discipline“ als „Lernende Organisation“. 


Das Lernen in der Lernenden Organisation initiieren

Konkret stellt das Lernen in der „Lernenden Organisation“ auf vier wesentliche Aspekte ab: 


1. Rekursives Lernen – den Regelkreis schließen
Es reicht nicht den konkreten Fall mit einer „perfekten“ Methode zu lösen, um dann zum Alltag überzugehen. Erst wenn der Regelkreis geschlossen wird, entsteht eine nachhaltige Wirkung. Dazu müssen die in der Praxis gewonnenen Erkenntnisse zu verfügbarem Wissen gemacht und in anwendbare Methoden überführt werden. Nur zum Prinzip erhoben bildet Rekursivität einen wesentlichen Pfeiler des Lernens in der Lernenden Organisation. Rekursives Lernen ist mehr als die Kenntnis einer Methode. 
2. Kollektives Lernen – Lernbeteiligung erweitern
Ein Lernen, bei dem mehrere Personen abteilungs- und hierarchieübergreifend komplexe Herausforderung angehen und sich in einem gemeinsamen Lernprozess einbringen, ist angesagt. Es reicht nicht individuelles Lernen zu addieren, ohne das Zusammenspiel ebenfalls zum Lerngegenstand zu machen. Teamlernen ist mehr als separiertes Einzellernen.
3. „Wertschöpfungslernen“ – Lerngegenstand erweitern
Es reicht auch nicht, lediglich Fachwissen in den Abteilungen anzuhäufen, ohne dieses in die Wertschöpfungskette einzubringen und zu relativieren. Vielmehr wird in der Lernenden Organisation der übergreifende Leistungsprozess (Wertschöpfungskette) Gegenstand des Lernens. Wertschöpfungslernen ist mehr als die Summe der Fachkompetenz.
4. Veränderungslernen – die Lernreichweite erweitern
Ebenso reicht es nicht, lediglich ein gegebenes „System“ zu optimieren bzw. nur Anpassungen vorzunehmen. Weil Organisationen heute schneller auf Markt- und Technologieveränderungen reagieren, und weil sie ihre strategische Ausrichtung heute agiler und proaktiv gestalten müssen, sind die damit verbundenen Veränderungen auf die Organisation als Ganzes zu beziehen. Veränderungslernen ist mehr als korrigieren.

 

Fazit
Die hier vorgestellten Aspekte des Lernprozesses bilden einen wesentlichen Baustein des Konzeptes der Lernenden Organisation. Es gewinnt an Bedeutung aufgrund der Einsicht, dass die klassische Entwicklung von Organisationen durch eine zielgerichtete, stetige Bewegung an Grenzen stößt. In der heutigen Welt mit ihren Imponderabilien, ihren kaum vorhersagbaren Wandel werden andere Antworten gesucht. So verlangt die wachsende Volatilität ein eher experimentierendes Vorgehen, bei dem die verfügbaren Ressourcen die Chance und die Begrenzung bilden. Veränderung kann sich hier auch in Schüben vollziehen. Der Wettbewerbsvorteil besteht also mehr und mehr in der Fähigkeit der Organisation, sich mit all ihren Komponenten abgestimmt zu entwickeln, sei es nun harmonisiert oder zyklisch, sei es nun ergebnis- oder ressourcenorientiert. Aber immer konzertiert bezogen auf die Menschen, die Technik, die Prozesse und die Strukturen. 

 

Matthias Hirzel, HLP Connex

 

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