Artikel aus RheinZeiger - Ausgabe 36
Gesehen und gesehen werden – wir sprechen nicht nur von den Reichen und Schönen. Insbesondere die B2B Unter-nehmen sehen Messeauftritte als die wichtigste Marketingmaß-nahme im gesamten Marketing-budget. Die Messe-auftritte, auf die man das gesamte Jahr hinarbeitet, können den Geschäftserfolg enorm beeinflussen. Allerdings haben die imposanten Messe-stände auch ihren Preis: Anständige Messestände kosten mindestens 5.000 Euro, hierbei wurden der Auf- und Abbau, die Anfertigung sowie die technischen Kosten noch nicht berücksichtigt.
Für Startup oder Kleinunternehmer sind dies oft utopische Summen, die sie sich nicht leisten können. Da kommen die Kosteneinsparungen durch digitale Messen wie gerufen …, oder? Das Institut für Messewirtschaft von Prof. Dr. Martin Fritze an der Universität zu Köln bietet Stu-dierenden die Möglichkeit, in Kooperation mit der Koelnmesse GmbH, Lösungen zu aktuellen Messe-Themen zu entwickeln. In dem Kurs „Service Innovation“ standen die Studierenden in diesem Jahr vor der Aufgabe, ein digitales Messeprodukt zu gestalten. Prof. Fritze ist selbst über seine Forschung zum Dienstleistungsmanagement, Konsumentenverhalten und der Digitalisierung zum Messeschwerpunkt gelangt, denn das sind alles Bereiche, die das Messe-wesen von heute sehr stark beschäftigen. Er beantwortet uns Fragen und lässt uns an seiner Sicht der zukünftigen Messeentwicklungen teilhaben.
RheinZeiger: Die Messeplanung hat sich seit einem Jahrhundert nicht geändert. Wie kommt es, dass diese Form des Marketings immer noch Bestand hat in unserer Gesellschaft und wie hat sie sich im Zuge der Digitalisierung in den letzten 10-15 Jahren verändert?
Prof. Dr. Martin Fritze: Das stimmt, denn eine Konstante ist das menschliche Bedürfnis nach realen sozialen Interaktionen, welche sich durch die Geschichte des Messewesens zieht. Zu-künftig wird es aber darauf ankommen, dass Messen diesem Bedürfnis effizient und fokussiert nachkommen. Das Messeerlebnis hat sich in den letzten Jahren verändert und ist vor allem digitaler geworden. Dieser Trend wird zukünftig auch noch anhalten, vor allem beschleunigt durch aktuelle Entwicklungen rund um die Corona-Krise. Das heißt zum Beispiel, dass durch den Einsatz digitaler Technologien unnötige Warteschlangen auf Messen der Vergangenheit angehören und an deren Stelle die dynamische Koordinierung von Besucherströmen und Begegnungen treten.
Und nun in Abhängigkeit von Corona, konnte man deutliche Wachstumsfelder sehen? Was war das Überraschendste für Sie?
Wir beobachten ganz allgemein neben der Internationalisierung von größeren Messen eine Spezialisierung von kleineren Messen, und letzteres auch außerhalb von großen Messe-standorten. Gleichzeitig ist zu erkennen, dass tradierte Messekonzepte, welche sich nur langsam oder kaum den aktuellen Bedürfnissen anpassen, zunehmend um Ihre Daseins-berechtigung kämpfen. Dies trifft auch auf große Messen mit langer Tradition zu. Der Messemarkt von heute ist kompromissloser und kritischer, was eine höhere Innovations-fähigkeit erfordert. Digitale Alternativen erhöhen den Druck auf analoge Messen, ihre Nutzen-dimensionen kritisch zu reflektieren.
Die Corona-Krise wirkt wie in vielen Bereichen auch für diese Entwicklungen wie ein Brandbeschleuniger. Gleichzeitig eröffnet die Krise für viele Akteure eine Art Blaupause, um bestehende Geschäftspraktiken zu hinterfragen. Dies wird den Druck auf die Messebranche erhöhen.
Glauben Sie, dass zukünftig Messen nur noch digital abgehalten werden oder die physischen Messen immer noch bestehen bleiben werden?
Ich denke in Zukunft wird nicht die Frage sein, ob Messen digitaler werden oder nicht, sondern vielmehr, welche Akteure am meisten von einer unausweichlichen Digitalisierung des Messewesens profitieren werden. Dies umfasst z.B. auch den Marktzugang. Während Messeveranstalter versuchen, Kunden von analogen Messen für digitale Angebote zu begeistern, gibt es neue Anbieter, die sich im Gegensatz dazu über digitale Netzwerke einen zunehmend dominanten Zugang zum analogen Messemarkt verschaffen (z.B. Xing).
Langfristig ist aktuell von einer Verlagerung von vor allem rein informativen Messen oder Messeinhalten ins Digitale auszugehen. Unsere aktuellen Studien zeigen, dass die Messelandschaft der Zukunft insgesamt stärker von hybriden Lösungen (sprich analog und digital) als heute geprägt sein wird.
Lassen Sie uns doch über Startups und KMUs sprechen. Messesauftritte sind bekanntlich sehr teuer. Lohnt es sich für diese Gruppen dort auszustellen? Gibt es wissenschaftliche Belege dazu, wie Unternehmen mit kleinen Messeständen mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen können?
Das lässt sich natürlich pauschal nicht beantworten. Jedoch ist klar, dass neben der traditionellen Kosten-Nutzen-Rechnung, wobei der Nutzenaspekt meist alleinig über die erzielte Kontaktrate quantifiziert wurde, heutzutage auch weitere Aspekte und mögliche Erlebnisdimensionen hinzukommen, welche für einen Messeauftritt sprechen. Ein gelungener Messeauftritt kann u.a. durch Multiplikatoren über soziale Netzwerke eine gute Gelegenheit sein, um das eigene Unternehmen überhaupt erst bekannt zu machen, zu positionieren und innerhalb einer Branche besser zu verorten. Das muss nicht mit erhöhten Kosten verbunden sein, sondern kann auch über kreative Ansätze getrieben sein, wie man sie z.B. aus dem Guerilla-Marketing kennt. Weitere Vorteile für junge Unternehmen mit innovativen Produkten ist die verfügbare Marktnähe auf Messen. So können zu neuen Produkten und materiellen Güter wie Dienstleistungen bereits frühzeitig und vor Markteinführung effizient Rückmeldun-gen vom Markt über diverse Anspruchsgruppen, welche sich auf Messen wiederfinden, ein-geholt werden. Dies kann Forschungs- und Entwicklungskosten einsparen, wodurch sich die Kosten für einen Messeauftritt dann schnell amortisieren.
Was würden Sie Startups und KMUs bei ihrem ersten Messestand raten?
Prof. Dr. Martin Fritze: Zunächst ist das Wichtigste, das eigentliche Messeziel klar zu definieren. Der Messeauftritt sollte dann sehr konsequent diesem Ziel angepasst werden. Ähnlich wie bei der Positionierung von Marken und Produkten am Markt, sollte auch ein Messestand eine klare Botschaft haben und einen wettbewerbsvorteiligen Mehrwert auf der Messe bieten, um in den Köpfen zu bleiben. Außerdem gibt es für Startups und KMUs vielfältige Förder-möglichkeiten, die den Messeauftritt erheblich unterstützen können. Von Seiten des Bundes-ministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) werden beispielsweise Förderungen ange-boten, die junge und innovative Unternehmen bei ihren ersten drei Messeauftritten finanziell unterstützen. Weitere Informationen erhält man auf den Seiten der AUMA. Es gibt viele weitere Angebote, die kleine Unternehmen fördern.
Herzlichen Dank für das ausführliche Interview!
Das Gespräch führte Sheila Sewar