BIO Deutschland: Zur Biotechnologie in Deutschland

 

Die Lage deutscher Biotechnologieunternehmen in der Pandemie

Seit Beginn der Pandemie hat sich in Deutschland das Alltagsleben drastisch verändert. Auch die Situation der Biotechnologiebranche hat sich dramatisch gewandelt. Noch nie fiel der Begriff Biotechnologie in den Medien so oft wie zu dieser Zeit. BioNTech und CureVac, die Namen zweier deutscher „front runner“ in der Corona-Impfstoffforschung, sowohl national als auch global, gehen Journalisten flüssig über die Lippen. Was trotz Spitzenforschung und einschlägiger Erfolge in der Medizin, z. B. bei der Krebs- und Rheumatherapie, oder in der Nahrungsmittel- oder Industriepro-duktion nicht gelungen ist, geschah nun quasi über Nacht. Die allgemeine Öffentlichkeit nimmt die Biotechnologiebranche als systemrelevant wahr, zumindest für den Bereich Gesundheit. 

 

Rund 70 unserer Mitgliedsunternehmen forschen aktuell, um die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen. Sie entwickeln diagnostische Tests, um akute oder durchlaufene Infektionen nachzuweisen. Sie arbeiten gemeinsam mit Ärzten und Behörden daran, eine Infrastruktur bereitzustellen, die erlaubt, möglichst umfassend und sinnvoll zu testen. Nur so kann im Moment so etwas wie Arbeits- bzw. Schulalltag wieder einkehren, oder vielleicht können sogar wieder größere Veranstaltungen stattfinden. Andere Unternehmen arbeiten an Wirkstoffen, um COVID-19 Patientinnen und Patienten zu therapieren, z. T. schon in Phase II mit Wirkstoffen, die ursprünglich für andere Indikationen entwickelt wurden. 

 

Neben BioNTech und CureVac gibt es zudem weitere Unternehmen, die die Impfstoffforschung mit spezifischen Dienstleistungen und Produktionskapazitäten unterstützen. Das von BIO Deutschland Ende Juni veranstaltete virtuelle Event, der „German Corona Showcase“, zeigte, dass die deutsche Biotechnologiebranche im Kampf gegen SARS-CoV-2 gut aufgestellt ist. 21 Unternehmen präsentierten dort ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Bereich Diagnostika, Therapien, Impfstoffe und Service.

Eine nicht-repräsentative Umfrage des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) im Mai ergab, dass deutsche Biotechnologieunternehmen ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung um 40 Prozent erhöht haben, mehr als jede andere Branche. Das lässt sich auf die intensiven Anstrengungen im Kampf gegen das Corona-Virus zurückführen, womit diese Unternehmen allerdings auch ein hohes unternehmerisches Risiko eingehen. 

 

Neben medialer Aufmerksamkeit ist ausreichend Kapital unabdingbar, um Diagnostika, Therapien und Impfstoffe zur Marktreife zu entwickeln. Die Bundesregierung hat für Impfstoffe tief in die Tasche gegriffen und eine großvolumige Förderung (750 Mio. Euro) für die Impfstoffentwicklung und -produktion auf den Weg gebracht. Sogar eine direkte Beteiligung des Bundes bei CureVac in Höhe von 300 Mio. Euro war möglich. 

 

Aber wie sieht es bei Tests und Therapien aus? Nach anfänglichem Hin und Her darüber, wer die Corona-Tests bezahlt und wie viel so ein Test kosten darf, werden zunehmend Möglichkeiten geschaffen, sich relativ einfach und teilweise auch kostenfrei testen zu lassen. Für Reiserückkehrer aus sogenannten Risikogebieten ist der Test sogar mittlerweile verpflichtend. Für die Diagnostikunternehmen ist es wichtig, dass Planungssicherheit besteht, damit ausreichend Tests zu Verfügung gestellt werden können. Natürlich ist auch die entsprechende Anerkennung nötig, dass die Diagnostikindustrie mit ihren Tests im Moment das einzige Mittel zur Verfügung stellt, um Infektionszahlen sicher zu erfassen und Infektionsketten zu unterbrechen. 

 

Laut „COVID-10 Vaccine Tracker“1 befanden sich Anfang August schon zehn der mehr als 100 Impfstoffkandidaten gegen Corona in den fortgeschrittenen klinischen Phasen II und III. Auch wenn einige dieser Kandidaten sich als wirksam erweisen, wird es noch Jahre dauern, bis eine schützende sogenannte Herdenimmunität erreicht ist. Bis dahin, brauchen wir auch effektive Therapien, um Infektionsverläufe bei den Patientinnen und Patienten abzumildern und Todesfälle zu verhindern. Aber trotz vielversprechender Ansätze gibt es für Biotech-Unternehmen, die an solchen Therapien forschen, nicht ausreichend Fördergelder. Hier besteht dringender Nachbesserungsbedarf. In den USA im Vergleich wurde schon frühzeitig auch die Therapieentwicklung zusammen mit den Vakzinen vorangetrieben. 

 

Obwohl die Zahl der im Kampf gegen Corona aktiven Unternehmen beachtlich ist, arbeitet die Mehrzahl auf anderen Therapiegebieten bzw. in anderen Sektoren, wie der industriellen Biotechnologie. Deren Geschäftsbetrieb leidet während der Pandemie z. T. beträchtlich, wie bei vielen anderen Unternehmen auch. Die Versorgung mit Arbeits- und Labormitteln geriet ins Stocken, Hygienepläne müssen eingehalten werden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten ins Home Office und klinische Prüfungen verzögerten sich oder wurden verschoben. Wie sich die Krise auf die Verfügbarkeit von Venture-Kapital und die Chancen im Moment erfolgreich ein Unternehmen zu gründen und zu finanzieren auswirkt, ist noch nicht klar abzusehen. Die Sorge besteht, dass gerade Startups mehr Probleme haben werden, erfolgreich Kapital einzuwerben. Laut einer Umfrage2 des bayerischen Biotech-Clusters BioM zu Auswirkungen der Pandemie auf die ansässigen Biotech-Unternehmen gaben 55 Prozent der Befragten an, sie seien besorgt. Die Hälfte der Unternehmen gaben einen Umsatzrückgang an, bei 17 Prozent war dieser sogar existenzbedrohend oder sehr erheblich. Ein Viertel der Unternehmen hatte finanzielle Unterstützung beantragt, rund sechs Prozent benötigen die finanzielle Hilfe dringend. 

 

Die Krise hat die Arbeit unserer Branche schlagartig bekannt gemacht. Das Potenzial der Biotechnologie für unsere Gesundheit scheint endlich im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit angekommen zu sein. Es ist natürlich sehr bedauerlich, dass erst diese Katastrophe verdeutlicht, wie groß das Potenzial der Biotechnologie ist. Wir setzen darauf, dass die Biotechnologie uns einen Weg aus der Pandemie eröffnet. Wir setzen aber auch darauf, dass die Biotechnologieindustrie nun langfristig die Unterstützung erfährt, die sie verdient. 

 

Bio Deutschland e.V., Dr. Viola Bronsema 

 

Zurück zur aktuellen Ausgabe

 

Abbildungen zum Artikel: